Polizei muss historisch und bis in die Gegenwart als eine gesellschaftlich relevante Institution zur Produktion antiziganistischer Ideologie wie auch zur Umsetzung antiziganistischer Ausgrenzungs- und Verfolgungsmaßnahmen betrachtet werden. Mindestens bis in die 1980er Jahre konstatierte Feuerhelm eine „Haltung des prinzipiellen Verdachts“ (1987, S. 294).
Das Stigma Zigeuner hat historisch eine bedeutende Rolle für die Entwicklung moderner Polizei gespielt (Lucassen, 1996) und zu ihrer organisatorischen und technischen Ausformung beigetragen. Die Kritik an polizeilicher Diskriminierung hat eine zentrale Rolle für die bundesdeutsche Bürgerrechtsbewegung von Sinti:ze und Rom:nja gespielt.
Die Verbände kritisierten, dass die nationalsozialistischen Täter aus dem Polizeiapparat in der frühen Bundesrepublik in vielen Fällen wieder als ‚Experten‘ tätig waren (Rose, 2008), weiter mit nationalsozialistischen Akten arbeiteten und damit erneut Deutungshoheit erlangen konnten.
Besondere Aufmerksamkeit lag in den kommenden Jahrzehnten immer wieder auf Polizeipressemitteilungen (Bohn, Hamburger & Rock, 1995; End, 2014, S. 236–274) sowie auf Kontinuitäten in der Erfassung (Stephan, 2011; Töpfer, 2019; End, 2019). Auch das Wechselspiel mit kriminologischer Forschung wurde in den letzten Jahren verstärkt in den Blick genommen (Baar, 2014; Unabhängige Kommission Antiziganismus, 2021, S. 235ff).
Betroffene und ihre Selbstorganisationen beklagen bis heute immer wieder Diskriminierung und unverhältnismäßige Einsätze durch Polizei und Sicherheitsbehörden (Roma Büro Freiburg, 2019, 2020; Unabhängige Kommission Antiziganismus, 2021, S. 237–241).
Literatur: Baar, H. van (2014). The Emergence of a Reasonable Anti-Gypsyism in Europe. In T. Agarin (Hrsg.), When stereotype meets prejudice: Antiziganism in European societies (S. 27–43). Stuttgart: Ibidem; Bohn, I., Hamburger, F., & Rock, K. (1995). Polizei und Presse. Eine Untersuchung zum „staatlich genährten Rassismus“ am Beispiel der Berichterstattung über Sinti und Roma. Jahrbuch für Antisemitismusforschung, 4, 166–183; End, M. (2014). Antiziganismus in der deutschen Öffentlichkeit: Strategien und Mechanismen medialer Kommunikation. Heidelberg: Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma; End, M. (2019). Antiziganismus und Polizei (Schriftenreihe). Heidelberg: Zentralrat Deutscher Sinti und Roma; Feuerhelm, W. (1987). Polizei und „Zigeuner“: Strategien, Handlungsmuster und Alltagstheorien im polizeilichen Umgang mit Sinti und Roma. Stuttgart: Enke; Lucassen, L. (1996). Zigeuner: Die Geschichte eines polizeilichen Ordnungsbegriffes in Deutschland 1700-1945. Köln: Böhlau; Roma Büro Freiburg (2019). Roma/Sinti Diskriminierungsbericht 2018 Freiburg. Freiburg im Breisgau; Roma Büro Freiburg (2020). Roma/Sinti Diskriminierungsbericht 2019 Freiburg. Freiburg im Breisgau; Rose, R. (2008). Die Aufarbeitung der Geschichte des Nationalsozialismus als Chance für die rechtsstaatliche Behandlung von Minderheiten. In Bundeskriminalamt (Hrsg.), Das Bundeskriminalamt stellt sich seiner Geschichte. Dokumentation einer Kolloquienreihe (S. 125–142). Köln: Luchterhand; Stephan, A. (2011). Das BKA und der Umgang mit Sinti und Roma – von „Zigeunerspezialisten“ in der Amtsleitung und „Sprachregelungen“ bis zur Sachbearbeiterstelle „ZD 43–22“. In I. Baumann, H. Reinke, A. Stephan & P. Wagner (Hrsg.), Schatten der Vergangenheit. Das BKA und seine Gründungsgeneration in der frühen Bundesrepublik (S. 249–285). Köln: Luchterhand; Töpfer, E. (2019). The EU’s Fight against “Itinerant Crime”: Antigypsyist Policing under a New Name? In I. Cortés Gómez & M. End (Hrsg.), Dimensions of Antigypsyism in Europe (S. 162–179). Brüssel: European Network Against Racism; Unabhängige Kommission Antiziganismus (2021). Perspektivwechsel – Nachholende Gerechtigkeit – Partizipation. Bericht der Unabhängigen Kommission Antiziganismus. Berlin. https://dserver.bundestag.de/btd/19/303/1930310.pdf [Stand: 11.08.2021].
Module: MA ZfA 3, MA-ZfA 5, MA-ZfA 6, BA KuT BiWi 5
Zentrum für Antisemitismusforschung (ZfA)
14:00 - 16:00, Do. 21.10.21 - Do. 17.02.22, wöchentlich
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