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Wildgruber, Gerald
Do. 14-18 Uhr (14-tägig)
Format wird noch bekannt gegeben.
Beginn: 21.10.2021
Das Lehrgedicht hat unter allen literarischen Gattungen das besondere Schicksal, zugleich die älteste und grundlegende Form zu sein, unter der Literatur, noch ungeschieden von Wissenschaft, auftrat (z.B. Veda, Texte aus der Umwelt des AT, Hesiod, Xenophanes, Parmenides), durch seine zweckgebundene Beziehung auf Wissen und Schule aber, vor allem in neuzeitlicher Schätzung und für modernes Kunstgefühl, stark herabsank und als didaktisches Genre zum Ausdruck gerade der Unpoesie werden konnte. Bezeichnenderweise blieb die Gattung aber vereinzelt gerade mit den größten Namen der Literatur der neueren Zeiten verbunden, so in Deutschland mit Goethe (Die Metamorphose der Pflanzen) bis zu Brecht (Die Erziehung der Hirse, Die Maßnahme); die große kosmogonische Dichtung Mallarmés Un coup de dés jamais n'abolira le hasard ist ein zentrales Werk der literarischen Moderne. Eureka (1848), Edgar Allan Poes letztes Werk, geschrieben im Jahr vor dessen Tod und dem deutschen Naturforscher Alexander von Humboldt gewidmet, gehört zu diesen Ausnahmetexten. Poe kündigte den Zweck der Schrift an als "On The Cosmography of the Universe" und hielt sie für sein mit Abstand wichtigstes Werk, in krassem Gegensatz zur überwiegend negativen Rezeption (geistiger Verfall, Unsinn, Puerilität), die aber bedeutende Ausnahmen hatte, so Albert Einstein ("eine schöne Leistung eines ungewöhnlich selbständigen Geistes"), A.S. Eddington, der den spezifisch mathematischen Geist Poes hervorhob, vor allem aber Paul Valéry. Das Seminar untersucht am Fall Eureka mögliche Beziehungen der Literatur zu den Wissenschaften anhand solcher von Poe entwickelter Begriffsbildungen, die auf beiden Gebieten fruchtbar werden können. — Textgrundlage ist die kritische Ausgabe Edgar Allan Poe Eureka von Stuart Levine und Susan F. Levine, University of Illinois Press, 2004.