Das Mittelalter musealisieren: Von der Schatzkammer bis zum White Cube
SE
Iñigo Salto Santamaría
MA
KuWi 1, KuWi 3a, KuWi 3b, KuWi 6b
Mittwoch, 12-14 Uhr
A 060
„A museum is an abnormal environment for art just as the hospital ward is an unnatural environment for the healthy individual.“ Philip N. Youtz (1895-1972), Direktor des Brooklyn Museum [Art as Culture History, The Brooklyn Museum Quarterly 21, no. 3 (Juli 1934), S. 57, https://www.jstor.org/stable/26460198?seq=2].
Kunstwerke, die während des Mittelalters entstanden sind, wurden nicht mit der Absicht geschaffen, einmal in einem Museum ausgestellt zu werden. Heute jedoch bilden sie einen wesentlichen Teil vieler Museumsbestände, von ihrer ursprünglichen Funktion entzogen und in eine kunsthistorische Chronologie eingefügt.
Das Seminar nimmt sich eine historische und museologische Betrachtung der vielschichtigen Prozesse der Musealisierung von mittelalterlichen Objekten vor, die seit den Säkularisierungen des 18. Jahrhunderts einen differenzierten Weg beschritten haben. Von bescheidenen Lösungen zur Aufbewahrung und Bewunderung von Objekten in provinziellen Schatzkammern bis hin zur kompletten Isolation des Kunstwerkes im sogenannten White Cube, werden wir die Besonderheiten der Ausstellung und Rezeption mittelalterlicher Objekte innerhalb der Museumsgeschichte anhand einzelner Fallbeispiele und Quellen beleuchten. Im Fokus stehen dabei die nationalistische Geschichtsschreibung (Musée des Monuments français – Paris, 1795), die Kontextualisierung durch (zum Teil originale) Architekturelemente (Germanisches Nationalmuseum – Nürnberg, 1852) sowie die Abwanderung europäischen Kulturerbes durch die ökonomische Dominanz der Vereinigten Staaten und deren Einfluss auf europäische Institutionen (The Met Cloisters – New York, 1938). Darüber hinaus werden wir lokale Strategien zur Präsentation und zum Schutz von Kunstwerken untersuchen, die teilweise als Gegenbewegung zu den zentralisierenden Bestrebungen von Museen fungierten, und nehmen den musealen Kanon mittelalterlicher Sammlungen unter die Lupe, um Trends und Lücken anhand historischer und aktueller Kataloge zu identifizieren. Ziel des Seminars ist, eine umfassende Perspektive auf das Konzept der Musealisierung zu bieten, und die damit verbundene Umfunktionierung, Wahrnehmung und Abwesenheit von mittelalterlichen Objekten zu berücksichtigen.
Die Teilnehmer*innenzahl ist auf 15 Personen beschränkt.
Einführende Literatur
Bennett, Tony: The Birth of the Museum. History, Theory, Politics. London 2005.
Belting, Hans: Bild und Kult. Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst. München 1990.
Cordez, Philippe: Object Studies in Art History. Research Perspectives, in: Object Fantasies. Experience & Creation. Berlin 2018, S. 19-30. https://www-1degruyter-1com-1007ec97i0019.erf.sbb.spk-berlin.de/document/doi/10.1515/9783110598803-002/html (lizensiert für TU-MitgliederInnen).
Dictionary of Museology, hrsg. von François Mairesse. London 2023 (temporär im Bestand der Staatsbibliothek zu Berlin als PDF-Download: https://stabikat.de/DB=1/XMLPRS=N/PPN?PPN=1841984353).
Haskell, Francis: Die Geschichte und ihre Bilder. Die Kunst und die Deutung der Vergangenheit (übersetzt von Michael Bischoff). München 1995.
Medieval Art and Architecture After the Middle Ages, hrsg. von. Janet T. Marquardt und Alyce A. Jordan. Newcastle 2009.
Musealisierung mittelalterlicher Kunst. Anlässe, Ansätze, Ansprüche, hrsg. von Wolfgang Brückle, Pierre Alain Mariaux und Daniela Mondini. Berlin 2015.